Das ganze Ausmaß dessen, wie soziale Normen Kinder prägen, offenbarte sich mir, als mein Sohn vier Jahre alt war. Eines Tages verlangte ich etwas von ihm, das er nicht tun wollte. Er erklärte mir unumwunden: „Du bist hier nicht der Boss.” “Doch”, sagte ich, ein wenig überrascht über den Spruch, “genau das bin ich.” Ich war gespannt auf seine Reaktion, denn dass er es mit Autoritäten nicht so hat, war mir bereits aufgefallen. Seine prompte Antwort allerdings lag jenseits meiner Vorstellungskraft und verschlug mir regelrecht die Sprache: „Frauen sind nie der Boss.“
Mein Sohn war VIER JAHRE ALT! Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Jahren Hauptverdienerin war, er also definitiv zuhause nicht das klassische Vorbild des männlichen Ernährers und „Familienoberhaupts“ vorgelebt bekam.
Kinder lernen durch Vorbilder, und da stehen die Eltern anfangs sicherlich an der Spitze. Aber was ich an dem Tag auch gelernt hatte: soziale Normen werden im Umfeld unserer Kinder so deutlich vermittelt, dass das Verhalten der Eltern nur einen kleinen Teil kindlicher Prägung ausmacht. Uns war bereits aufgefallen, dass im Kindergarten unseres Sohnes das „klassische“ Familienmodell vorherrschte – Vater verdient und Mutter ist zuhause – bis hin zu ganz offensichtlichen patriarchalischen Strukturen – wenn der Mann anwesend ist, redet er, und nicht die Frau. Ich konnte also ungefähr ahnen, wo der Spruch herkam.
Wir brauchen Antennen dafür, was unsere Kinder außerhalb der Familie mitbekommen, und müssen aktiv gegensteuern. Für meinen Sohn mache ich mir wenig Sorgen, er ist auf die Seite geboren, die fast alle Privilegien genießt. Mein Job ist es, ihm klar zu machen, dass das Privilegien sind, und dass eine gleichberechtigte Welt eine bessere ist – auch für ihn. Wenn ihr Mädchen habt, gibt es etwas mehr zu tun. Denn wenn auch sie durch Vorbilder lernen, werden sie diese von alleine kaum wahrnehmen können. Hier ein paar Zahlen:
Wirtschaft:
- Frauenanteil in den Vorständen der DAX-Konzerne: 14 Prozent.
- Frauen an der Spitze der rund 3,76 Mio. mittelständischen Unternehmen in Deutschland: 16 Prozent.
Politik:
- Frauenanteil Bürgermeister*innen in Deutschland: 9 Prozent.
Wissenschaft:
- Frauenanteil Professuren an deutschen Hochschulen 25 Prozent.
Medien:
- Frauenanteil der Chefposten in den zehn größten überregionalen Zeitungs- und Nachrichtenredaktionen: 25 Prozent.
Was das alles mit Geld zu tun hat?
Medizinische Berufe, inklusive der durchschnittlichen Jahreseinkommen:
- Jobs in der Krankenpflege: 80 Prozent Frauen. Durchschnittliches Jahreseinkommen: 37.900 Euro
- Ärzt*innen: knapp 50 Prozent Frauen. Durchschnittliches Jahreseinkommen: 89.539 Euro
- Knapp 50 Prozent – das klingt doch gut! Wenn da nicht noch ein paar andere Zahlen wären: Im Medizinstudium sind zwei Drittel der Studienanfänger*innen Frauen. Frauenanteil der leitenden Krankenhausärzt*innen: Elf Prozent.
Lasst uns die Aufmerksamkeit der Mädchen ganz bewusst auf weibliche Vorbilder lenken – füttern wir sie mit Büchern, Hörspielen und Filmen, in denen starke Mädchen und Frauen die Hauptrolle spielen. Es gibt sie!